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Teil 4

Der Täter, die Täterin

Schon die Vermutung, dass Dein eigenes Kind ein Täter ist, löst vermutlich einen ganzen Schwall von Gefühlen aus, die Du keineswegs haben möchtest und Gedanken, die Du lieber nicht glauben möchtest.
In diesem Fall atme durch und mach erstmal kein Drama. Das bedeutet nicht, dass Du versagt hast, es bedeutet nicht, dass Dein Kind ein schlechter Mensch ist und so weiter.... nur eines ist in diesem Moment sicher: Es ist Deine Pflicht, Dir, Deinem Kind und der betroffenen Gruppe gegenüber, dass Du Dich Deinen Gefühlen stellst und mehr in Erfahrung bringst.

Wie könntest Du erkennen, dass (D)ein Kind ein Mobber ist?
Genau wie beim Opfer, gibt es keinen typischen Täter.  Und Dein Kind kommt nicht nach Hause und sagt:“Juhuuh ich bin ein Mobber.“ Oder “heute haben wir ihn/sie wieder fertiggemacht.“
Dein Kind wird, falls es etwas erzählt, eher berichten über dieses eine blöde Kind, was das alles falsch macht und was es alles für schlimme Dinge macht, wie doof, hässlich, dumm o.ä. es ist und dass sowieso niemand dieses Kind mag. Sehr oft berichten  Täterkinder, sie würden von diesem einen Kind provoziert. Und ausserdem seien alle anderen auch dieser Meinung.

Aus der Wissenschaft:
Obwohl es keinen Täter-Typ gibt zeigen Untersuchungen, dass ein überwiegend grosser Teil der Mobber meist gleich mehrere der folgenden Merkmale aufweist:
•    Sind impulsiv und haben wenig Selbststeuerungskompetenz
•    Haben ein ausgeprägtes Machtmotiv
•    Beharren auf Durchsetzung eigener Interessen durch aggressive Verhaltensweisen
•    Haben wenig Mitgefühl, aber sehr gute Fähigkeiten, Schwächen bei anderen Kindern auszumachen
•    Sind Gleichaltrigen durchschnittlich körperlich überlegen (führt zu einem Gefühl der Stärke und Unantastbarkeit)
•    Geben meist Provokation durch das Opfer als Grund an, obwohl diese nur in ca. 20% der Mobbingfälle in der Realität im Vorfeld da ist
•    Haben wenig Selbstvertrauen/ ein mangelndes Selbstwertgefühl
•    Weisen Defizite in der Sozialkompetenz auf
•    Kennen wenige Konfliktlösestrategien

Oder bildlicher formuliert: den meisten Tätern geht es darum, Macht über andere auszuüben. Sie genießen es, Mitschüler zu kontrollieren und zu unterwerfen. Wenn andere vor ihnen Angst haben, fühlen sie sich stärker. Sie wollen Anerkennung von ihren Mitschülern oder auch von eigenen Misserfolgen ablenken. So gesehen ist Mobbing also eher ein Ausdruck der Schwäche als der Stärke! Dabei empfinden die Täter kein Mitgefühl (Empathie), wenn es dem Opfer schlecht geht. Bei der Auswahl der Opfer haben sie ein besonderes Geschick entwickelt, Mitschüler zu erkennen, die auf Aggressionen eher wehr- und hilflos reagieren. Oft geben die Täter dabei an, dass das Opfer sie provoziert habe, was von den Mitschülern in den seltensten Fällen bestätigt wird.  
Eltern und/oder Lehrpersonen, die merken, dass ihr Kind dazu neigt, andere zu mobben, sollten diese Tendenz unbedingt frühzeitig und konsequent unterbinden! Es müssen klare Regeln aufgestellt werden und dann auch gelten! Wenn nötig, müssen diese auch mit Hilfe von Sanktionen durchgesetzt werden. Und: Eltern sollten in solchen Fällen unbedingt ihr eigenes Verhalten hinterfragen! Denn: oft geht es hier um Frage, welches Vorbild Eltern für ihr Kind abgeben!


Unterschiede zwischen Jungs und Mädchen
Jungs mobben oft direkter als Mädchen. Gerade das sogenannte 'Dissen', eine Art Vorstufe des Mobbings, bei der jemand permanent gegen andere stichelt, wird von Jungs häufig offener betrieben. Bei Mädchen geht es dagegen häufiger darum, andere über Äußerlichkeiten (Figur etc.) bzw. ihre Wirkung nach außen zu diffamieren.

Warum mobbt ein Täter:
Hier finden sich 2 tendenziell gegensätzliche Meinungen:
Die eine Seite vertritt die Ansicht, dass Kinder oft nicht aus einer bösen Absicht heraus mobben, sondern irgendwie da reinschlittern: „Wir haben alle über diesen Witz gelacht, dann hat noch einer einen Witz darüber gerissen, am andern Tag noch einer und weil sich alle so amüsierten,  fanden wir das ganz in Ordung. Keiner hat bemerkt wie schlimm das für das Opfer war.“ Und um dann seinen sozialen Status behalten zu können, müssen die Täter und Mitläufer weitermobben und wissen gar nicht recht wie aufhören.
Anton Flunger, Sozialpädagoge und Kinder- und Jugendpsychotherapeut, machte eine andre Erfahrung:
"Viele glauben, die Täter seien selbst unsicher. Meine Erfahrung ist eine andere: sie genießen es meistens geradezu, dem anderen eine reinzuwürgen. Sie ergötzen sich daran, bestimmen zu können, wer zum Opfer wird. Manchmal spielen sogar die Eltern von Mobbern das Verhalten ihrer Kinder herunter oder verharmlosen es."

Ich persönlich bin geneigt zu sagen, dass wahrscheinlich beides vorkommt. Zu wissen, um welche Variante es sich handelt, zeigt uns den Interventionsweg auf.
Sollten wir uns nämlich bei der Ursache des Mobbings irren, kann es gut sein, dass unsre Massnahmen nicht greifen und wir nach dem ersten Scheitern erneut die Situation analysieren müssen.


Weitere Erklärungen:
•    Die Bedürfnisse des Kindes. Es gibt Täter mit einem intensiven Machtbedürfnis, sie sind stark sozial motiviert und brauchen die Gruppe, oft sind sie nicht besonders leistungsmotiviert. Sie wissen genau, wie sie eine Gruppe für ihr Anliegen gewinnen können, darin sind sie schon als kleine Kinder gut. Läuft es so wie sie es wollen, gibt das ihnen Sicherheit, sie haben Kontrolle. Vordergründig sind Täter oft knallhart, daheim schlafen sie im Bett der Mutter. Oder sie haben Angst vor dem Klassenlager. Innendrin sind sie unsicher.
Keine Empathie, kaum Impulskontrolle – also Kinder, die sich nicht im Griff haben und schnell dreinschlagen. Solche Kinder können auch Opfer werden, weil sie mit ihrem Verhalten eine Ausgrenzung begünstigen. Sie werden Täter, wenn sie die Gruppe unter Kontrolle halten können. Das sind hohe emotionale Defizite und ein Rückstand in der moralischen Entwicklung. Da reichen Helfergruppen nicht., das sind die Fälle in denen der sonst so gut wirkende No-Blame-Approach nicht hilft. Da braucht es dann unter Umständen eine Therapie.

•    Die Beziehungsmuster innerhalb der Familie. Wenn da keine demokratischen Verhältnisse sind, neigen Kinder auch eher dazu. Es gibt allerdings auch ganz demokratisch gesinnte Eltern, deren Kinder das pure Gegenteil sind.

 


Mobbing wühlt auf. Sehr schnell entsteht das Klischee von Gut und Böse, Opfer und Täter. Wir ergreifen Partei, gehen gegen die Täter vor und realisieren nicht, dass die Ursachen so nicht aufgelöst werden. Denn um wirksam gegen Mobbing vorzugehen, genügt es nicht, die Täter zu verurteilen. Wenn man wirklich etwas verändern will, muss man verstehen, wie die Dynamik entsteht.
Wer glücklich und ausgeglichen ist, hat nicht das Bedürfnis, andere zu kränken und zu demütigen. Wir kennen das alle: Wenn es mir gutgeht, ich ein Hoch erlebe und die Welt umarmen könnte, ist mein Herz offen und weit. Ich bin grosszügig, tolerant und in Geberlaune. Wenn ich aber das Schicksal als ungerecht empfinde, überfordert und erfolglos bin, suche ich das Haar in der Suppe der anderen, und es freut mich, wenn ich es finde.
Niemand mobbt aus einer souveränen, entspannten Position heraus. Den anderen klein zu machen geschieht unbewusst aus dem Bedürfnis, den eigenen Selbstwert aus dem Minus zu hieven, sicher und unangreifbar zu sein. Viele Kinder machen mit, weil sie froh sind, so nicht auf der Opferseite zu stehen. Aussen oder unten zu landen ist so bedrohlich, dass selbst Werte wie Freundschaft und Loyalität über Bord gekippt werden.


Natürlich muss in einer Schule Mobbingverhalten klar und unmissverständlich korrigiert werden. Wenn es aber dabei bleibt, ist der Frieden nicht von Dauer. Die «Täterkinder», die aus einem (unbewussten) Grundgefühl von Defiziten und wenig Wert heraus agieren, werden so ein weiteres Mal nicht in ihrer Not wahrgenommen. Die Kinder erleben dies als erneute Kränkung und Ungerechtigkeit und werden sich aus diesem Spannungszustand heraus erneut destruktiv verhalten.
Wichtig ist hier, dass man die Bedürftigkeit hinter der «Böswilligkeit» erkennt. Dass man dem Verhalten dieser Kinder Einhalt gebietet, zugleich aber ihrer Seele Aufmerksamkeit und Wertschätzung schenkt, damit sie es in Zukunft nicht nötig haben, andere zu verletzen.

Die innere Haltung der Täter
Was Mobber letztlich oft dann doch beeindruckt und zum Nachdenken bringt, ist eine Konfrontation mit ihrer inneren Haltung. Wenn ihnen klar wird, dass es ihnen offenbar Spaß macht, andere zu quälen, sind sie oft selbst schockiert und versuchen, ihr Verhalten zu ändern.

 


Tipps für Dich aus der Lösungswerkstatt:
Stell die bereits genannten allgemeinen Fragen: Wie läuft das so bei Euch in der Gruppe? Darf jeder mitspielen? Und was ist mit dem? Warum denn?
An dieser Stelle wirst Du wahrscheinlich hören, wie unmöglich das eine Kind ist oder das es immer provoziert und dass sich da alle einig seien. Frag nach, was genau denn so unmöglich ist, wie die Provokation stattfindet- oft erfährst Du hier nur fadenscheinige Gründe (meistens zwecks Showeffekt etwas aufgemotzt), warum jemand nicht mitmachen darf wie: der regt sich immer so auf oder er stellt sich einfach doof an oder sie ist ungeschickt und hässlich, keiner mag sie. Das sind alles Urteile und keine Gründe weshalb jemand nicht mitspielen darf!


Auch Fragen nach wer mit wem befreundet ist und wer wen nicht so mag etc. geben Aufschluss. Frag weiter genau nach wie wer denn reagiert, wer was sagt, tut? Sei interessiert-echt interessiert und frag bis Du eine Vorstellung hast, und zwar nicht Deine eigene Vorstellung, sondern die Deines Kindes. Hör gut zu! (oft echt schwierig in der Hektik des Alltages)
Gibt es Spitznamen bei Euch- wer hat welchen? Wie ruft ihr Euch gegenseitig? Bis hierher hast Du Dir am besten Deine persönlichen Kommentare verkniffen und nur interessiert zugehört.


Sobald du eine Idee hast,  wie Dein Kind ein anderes Kind sieht, kannst Du zu wirken beginnen. Jetzt ist Dein Kommentar gefragt in Verbindung mit einem Wert, (vermeide zu diesem Zeitpunkt "Gefühlsausbrüche"):" ich persönlich finde es wichtig, dass jeder anständig ist." "Mir ist es ein Anliegen, dass jedes Kind hier wohl ist."(Lehrer). "Fairness ist für mich das A und O fürs ganze Leben." "Meine Regel lautet: jeder, der anständig ist und sich an Regeln hält, darf mitspielen." "Jeder hat mindestens 2-3 Chancen verdient. Ihr seid eine Gruppe, das bedeutet jeder gehört dazu" etc.

Erst danach folgt hier Dein persönliches emotionales Statement. Ich bin traurig zu hören, dass Du jemanden so nennst. Ich bin wütend, dass Du bei Gemeinheiten mitmachst. Ich mach mir Sorgen, dass Du Freude dran hast, anderen weh zu tun etc.
Generell fördere Empathie- hier gibt es unzählige Geschichten und Anektoten im Internet und in Bibliotheken oder Deinem eigenen Leben zu finden. Sieh zu, dass sich Dein Kind in die Opferrolle einfühlen kann und Mitgefühl entwickelt.


Schau dir konkret Videoclips an mit Deinem Kind und frag, ob es sowas in seiner Klasse schon gesehen oder selbst mitgemacht hat. Hierbei hilfts, wenn Du selbst, Dein Kind nicht verurteilst und zornig über sein Verhalten bist, sondern eher eine Art „Forschereinstellung“ haben kannst.
Fördere durch Geschichten und Beispiele, die die Einzigartigkeit der Menschen betonen und dass es gut ist, dass jeder verschieden ist.
Lerne Positives am Opferkind schätzen/Finde Gemeinsamkeiten zwischen Deinem Kind und dem anderen: frag Dein Kind, was dieses eine so doofe Kind gut kann, was an ihm nett ist, ob es gleiche Hobbies hat oder die gleichen Fächer mag/nicht mag. Sobald sich Dein Kind etwas einfühlen kann, soll es sich eine Situation vorstellen, in der es Täter war und mit der Rolle des Opfers tauschen. Hilf Deinem Kind zu erkennen, dass das Opfer oft ungeschickt oder blöd reagiert, weil es so gequält wird.


Vermutest Du, dass Dein Kind Spass am Quälen hat, konfrontier es damit: Wie fühlst Du Dich denn, wenn Du Lisa beleidigst, sie rumschubst und ihre Zeichnung zerstörst? Dann hör zu- möglichst ohne Drama –„Das ist doch nur Spass, alle findens lustig!“ „OK. Wenn alle es lustig finden, was tun sie dann?“- „Sie klatschen, lachen mit oder sagen auch, das Lisa hässlich ist.“--- verfalle hier nicht in Zorn oder Schrecken! Frag weiter: „ok. Du hast Lisa rumgeschubst, ihre Zeichnung zerstört, alle Lachen und helfen Dir dabei, wie fühlst Du Dich in diesem Moment?“--- bleib dort dran, bis Du etwas nützliches erfährst, wie:“Dann finden mich alle toll, dann bin ich cool!“ –verkneif Dir die Empörung und frag weiter: „wenn Dich alle toll finden und Du cool bist, wie geht’s dir dann damit?“ dann müsstest Du so eine Beschreibung eines Gefühlszustandes kriegen. Dann mach den Rückschluss: „Also wenn ich das jetzt richtig verstehe, fühlst Du Dich gross und cool und in der Gruppe angenommen, wenn Du jemand anderen quälst?“.....lass es wirken!
Vielleicht ist es hier sogar gut ein zwei Tage nicht mehr darüber zu reden, sondern das ganze wirken zu lassen--- Du merkst selbst, ob Pause nötig ist.
Dann folgt ein Wertestatement: Das ist falsch, ungesund, gefährlich etc. weil zB. das Zusammenleben von Menschen Regeln hat und Du gegen diese verstösst, jedes Mal wenn Du jemanden quälst. Du kannst hier auch das Strafgesetzbuch einbringen, falls es Dir richtig erscheint. Dein Verhalten ist falsch, weil in unserer Schule/Mannschaft/Nachbarschaft jeder einen Platz haben darf, weil jeder das Recht auf Sicherheit und Frieden hat, weil wir einen guten Umgang pflegen,   weil Du jeden am besten so behandelst, wie Du selbst behandelt werden willst...... bitte erweitere das Repertoir mit Deinen Werten, nimm Beispiele aus Deiner Religion, denn jede Religion hat den Wert Nächstenliebe etc.
Dann beginne mit Dir selbst: Dein Statement über Deine Gefühle: Ich bin zutiefst darüber erschüttert, ich bin traurig, total erschrocken, zornig, besorgt etc dass Du Dich gut fühlst, indem Du andre fertigmachst.
Anschliessend muss etwas in Aktion kommen: was genau gedenkst Du heute noch anders zu machen? Vereinbart kleine Schritte. Denn plötzlich dicke Freunde werden ist unrealistisch und würde bedeuten, dass Dein Kind seinen sozialen Status verliert und Gefahr läuft selber Opfer zu werden. Dein Kind weiss das genau und wird das Risiko nicht eingehen. Kleine Schritte sind zB. Sprich das andre Kind mit seinem Namen an- oder vielleicht ist gar nichts sagen schon ein Fortschritt.
Denke gegebenenfalls darüber nach eine Fachperson beizuziehen: ein Gespräch mit dem Lehrer/Trainer kann hilfreich sein- dazu mehr später, Schulsozialarbeiter sind eine hervorragende Adresse: Sie arbeiten direkt mit den Kindern oder empfehlen geeignete weitere Fachpersonen, Schulpsychologischer Dienst (berät Schüler, Eltern und Lehrer) oder ein geeigneter Coach.


Quellen:
Bundeszentrale für politische Bildung- Mobbing
Akademie für Lerncoaching, mit-Kindern-lernen, Fabian Grolimund, Stefanie Rietzler   
Familienleben , „Mobbing Täter sehen ihre Opfer als faule Äpfel.“, Anouk Holtuizen       
BR2, Notizbuch Gesundheitsgespräch, Mobbing                                                       

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